Frage: Große Familienfeiern fallen an Weihnachten aus, alles passiert in einem kleineren Rahmen – welche Probleme sehen Sie hier?
Albert Knött: Viele Begegnungen mit Freunden und Verwandten können nicht stattfinden, gewohnte Aktivitäten in Vereinen, viele Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen auch nicht. Jemand sagte: 'Alles, was Spaß macht, ist verboten!' Damit fehlen vertraute Rituale, die Halt geben und das Gemeinschaftsgefühl als wichtige Ressource für seelische Gesundheit.
Ihr Ratschlag, wie man mit dem reduzieren Fest umgehen sollte?
Knött: Es wäre gut, im Vorfeld eine Familienkonferenz zu halten und zu klären, wie diese Tage verbracht werden sollen. Dabei kann festgestellt werden, wem was wichtig ist und warum. Auch eine gute Planung kann helfen. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass der Heiligabend und der zweite Weihnachtsfeiertag gemeinsam verbracht werden, während den ersten Weihnachtsfeiertag jeder für sich individuell nutzen kann. Die Nähe und Distanz müssen reguliert werden.
Gibt es auch positive Aspekte – etwa die Entschleunigung?
Knött: Im ersten Lockdown war das bei Menschen zu beobachten, die keine finanziellen Sorgen haben, nicht zur Risikogruppe gehören und keine Kinder haben, die von den Schulschließungen sehr betroffen waren. Familien, die von Home-Office und Home-Schooling betroffen sind, ohne zu wissen, wann wieder ein normales Leben stattfinden kann, empfinden diese Zeit als sehr stressig. Dadurch, dass Schule, Sport und Arbeit auf zu Hause verlegt werden, ist man ständig aufeinander. Das wirkt dann im Grunde wie ein Schnellkochtopf, in dem die Gefühle schnell hochkochen.
Wie geht man mit Familienmitgliedern um, die "am Rad drehen"?
Knött: Jeder von uns kennt Situationen, in denen man besonders dünnhäutig ist, die Gelassenheit verliert und sehr gereizt reagiert. Meist ist das der Fall, wenn verschiedene Frustrationen zusammenkommen oder alte ungeklärte Konflikte wieder hochkommen. Hilfreich ist, wenn es gelingt, nicht zu dramatisieren, sondern ruhig und sachlich die eigene Hilflosigkeit, Enttäuschung oder den Ärger zu benennen. Darum zu bitten, den Streit zu unterbrechen und anzubieten, wann das Gespräch fortgesetzt werden kann. Über den eigenen Schatten zu springen und sich eine unparteiische Unterstützung zu holen, etwa in einer Beratungsstelle.
Wie vermeidet man Kränkungen, weil man die Besuchsregelungen einhalten muss?
Knött: Gäste auszuwählen und anderen absagen zu müssen sind schwierige Entscheidungen und bedeuten unangenehme Gespräche. Hilfreich könnte sein, offen miteinander zu reden und zu begründen, warum man sich wie entschieden hat. Vielleicht lässt sich als Ersatz auch ein Familienfest im Sommer organisieren.
Weihnachten und Lockdown – Ihre größten Befürchtungen?
Knött: Schon in normalen Jahren haben viele Menschen tief in sich eine verborgene Sehnsucht, dass an Weihnachten alles gelingen soll, was sonst zu kurz kommt: die Erfüllung materieller Wünsche, liebevoller Umgang, Harmonie und Frieden. Dazu eine dekorierte und geputzte Wohnung und viele Plätzchensorten, die mit immer glücklichen Kindern gebacken wurden. Diese unbewussten Sehnsüchte sind eine Überforderung und führen zu Stress, der sich am Ende in Schuldvorwürfen entlädt. Im schlimmsten Fall steigen wegen räumlicher Enge und fehlender Ausweichmöglichkeiten die Fälle von häuslicher Gewalt. Oder es gibt eine erhöhte Zahl an Trennungen, die vielleicht hätten vermieden werden können.
Gibt es Tipps, um nicht in ein seelisches Loch zu fallen?
Knött: Ich empfehle allen, die sich einsam fühlen oder mit Traurigkeit zu kämpfen haben, sich gut um sich selbst zu kümmern. Wieder anzufangen, auch sich selbst mit Freundlichkeit und Mitgefühl zu begegnen. Zu überlegen, welches Buch man schon lange lesen wollte, welche Musik einen glücklich macht oder welchen alten Bekannten man schon ewig mal anrufen wollte. Hilfreich ist auch, dem Tag Struktur zu geben mit Bewegung und gesunder Ernährung. Begegnungen können auch über Videoanrufe oder im Freien und mit Abstand stattfinden. Eine Idee wäre, die Thermoskanne und den Kuchen einzupacken und gemeinsam einen Waldspaziergang zu machen.
Ab wann sind die Probleme so groß, dass man Hilfe braucht?
Knött: Viele Menschen kümmern sich zehn Mal mehr um ihr Auto oder ihre Wohnung als um sich selbst oder ihre Partnerschaft und nehmen bei Beziehungsproblemen sehr spät Hilfe in Anspruch. Dabei ist es eine der größten Herausforderungen im Leben, eine langjährige hinreichend zufriedene und lebendige Partnerschaft zu führen. In einer Beratungsstelle geht es auch nicht darum, sich gut darzustellen oder rhetorisch glänzen zu müssen. Ich empfehle einen Versuch, wenn man das Gefühl hat, sich im Kreis zu drehen und bereit ist, eine Veränderung zu wagen.
Wie und wo gibt es diese Hilfe?
Knött: Die Diözese Würzburg unterhält zehn katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, in denen man sich unabhängig von Konfession, Nationalität, Weltanschauung, Familienstand oder sexueller Orientierung auf Spendenbasis beraten lassen kann. Nähre Informationen dazu gibt es unter www.eheberatung-wuerzburg.de. Einen guten Überblick über verschiedene Hilfeangebote zu ganz unterschiedlichen Themen findet man auch unter www.psychosozialer-beratungswegweiser.de.
Wie schaffen Sie es, entspannt durch die nächsten Tage zu kommen?
Knött: Ob ich es schaffe, mit meiner Familie entspannt Weihnachten zu feiern, kann ich Ihnen erst hinterher berichten. Immer entspannt zu sein, ist nicht realistisch und auch nicht erstrebenswert. Auch Konflikte gehören zum Leben dazu. Es kommt nur darauf an, ob es gelingt, Konflikte fair und konstruktiv zu führen. Wenn das gelingt, ist es wunderbar, sich dann auch wieder gemeinsam zu entspannen.
Interview: Frank Weichhan, Mainpost Kitzingen
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung und Weihnachtsgrüßen der Redaktion
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